Gesunderhaltung der Atemwege
Tierarzt René Becker über die medizinische
Vorsorge

Tierarzt René Becker |
Das besondere Augenmerk der Züchter liegt während der Saison auf die
Gesunderhaltung der Atemwege. Nahezu jedes gesundheitliche Problem,
welches die Leistungsfähigkeit der Tauben in der Saison beeinträchtigt,
wird einer Erkrankung der Atemwege zugeschrieben. Dies wird in jedem
Gespräch, das wir mit Züchtern bei der Untersuchung ihrer Tiere in der
Praxis führen, mehr als deutlich.
In der Tat stellen die Infektionen der Atemwege – und speziell der
Schleimhäute im Rachenbereich – eines der Hauptprobleme in der Saison
dar. Allerdings handelt es sich in den meisten Fällen nicht um
klassische Atemwegserkrankungen, wie sie z. B. von Chlamydien ausgelöst
werden. Am häufigsten handelt es sich um Schleimhautinfektionen im
Rachen und Kropfbereich, die sich nicht selten bis in den Darm der Taube
fortsetzen. Die beteiligten Keime sind in den meisten Fällen sog.
“fakultativ pathogene Keime”, d. h. Keime, die häufig auf den
Schleimhäuten vorkommen und erst bei übermäßiger Vermehrung in der Lage
sind, die Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen.
Die Namen der häufigsten Keime Staphylokokken und Streptokokken haben
die meisten Züchter schon gehört, meist als Diagnose bei den eigenen
Tauben. Eine übermäßige Belastung während der Reise auf den Flügen führt
bei nicht optimalen Grundvoraussetzungen mit Blick auf
Schlagverhältnisse, Versorgung sowie Taubenqualität zu einer Vermehrung
dieser Keime, so dass diese in der Lage sind, die Leistung erheblich zu
beeinträchtigen oder – falls das Keimniveau zu Beginn der Saison schon
sehr hoch ist –, einen Formaufbau nahezu gänzlich zu verhindern.
Die typischen Symptome sind mehr als bekannt. Die Tauben trainieren
nicht richtig am Haus, bei warmen Temperaturen sitzen sie nach kurzer
Zeit mit geöffnetem Schnabel auf dem Dach. Schaut man diesen Tieren in
den Rachen, werden Rötungen, weit geöffnete Luftschlitze, verklebte
Gaumenspalten und Schleimansammlungen im Rachen hinter dem Gaumensegel
sichtbar. Ein Kropf-/Rachenabstrich offenbart bei der Beurteilung im
Mikroskop eine deutliche Vermehrung der Keime auf den Schleimhautzellen,
so dass von einer Schleimhautentzündung im Rachen- und Kropfbereich
gesprochen werden kann. In diesen Fällen hilft nur eine antibiotische
Behandlung.
Bei der Wahl des geeigneten Medikamentes greifen wir zunächst auf den
bereits häufig beschriebenen Resistenztest zurück, der im Idealfall
schon vor der Saison angefertigt wurde. Nichts desto trotz muss stets
eine neue Untersuchung den tatsächlichen Erreger ans Tageslicht bringen,
um die Therapie ggf. anzupassen. Sehr wichtig ist es, das Augenmerk auch
auf die Gesundheit im Darm zu legen. Viele vermeintliche
Atemwegsinfektionen, die von den Züchtern so betitelt werden, spielen
sich im Darm ab und sind in der Lage, die Form und Leistung zu
beeinträchtigen.
Der von uns stets durchgeführte Abstrich aus der Kloake und die
Anzüchtung auf einem entsprechenden Nährboden gibt Aufschluss über den
Infektionsgrad im Darm. Daher ist es sinnvoll, bei der Wahl eines
Medikamentes zur Behandlung von Schleimhautinfektionen im Rachen stets
den Darm mit einzubeziehen. Denn genau hier findet die Resorption der
Nahrung und Zusätze statt, die unseren Tauben helfen sollen, die
Belastungen der Saison zu meistern. Ein richtiger Formaufbau geht nur
über einen gesunden Darm.
Aus diesem Grund sollte jedes gute Versorgungssystem auch Produkte
enthalten, die die Gesundheit im Darm unterstützen. Präbiotische
Produkte gehören ebenso dazu, wie die bewährten Oreganumpräparate,
Produkte auf Kolostrumbasis und PH-Wertsenker mit antibakteriellen
Eigenschaften.
Mit einer besonderen Form der Erkrankung des Darmes bei Alttauben
sind wir in den letzten beiden Jahren konfrontiert worden. Nachdem es
damals regelrechte “Seuchenzüge” in manchen Reisevereinigungen gab, hat
sich die Situation inzwischen ein wenig beruhigt. Trotzdem werden häufig
Alttauben mit der klassischen Symptomatik der Jungtaubenkrankheit
vorgestellt. Meist kommen diese Tiere noch erfolgreich vom Flug,
erringen u. U. noch einen Spitzenpreis, um am selben Abend oder am Tag
danach mit schmierig grünen Kot, Erbrechen und Appetitlosigkeit zu
beginnen. Häufig sind jährige Tauben betroffen und meist sind es Tiere,
die offensichtlich am Wochenende an ihre Leistungsgrenze gegangen sind.
Diese starke Belastung des Körpers scheint den Ausbruch einer solchen
Infektion zu begünstigen.
Bei den von uns durchgeführten Untersuchungen wurden in den meisten
Fällen starke Befälle mit Kolikeimen diagnostiziert. Ob weitere Erreger,
u. U. das gleiche Virus, das für den Ausbruch der Jungtaubenkrankheit
mit verantwortlich ist, eine Rolle spielen, müssen weitere
Untersuchungen ergeben. Die von uns gemäß der Diagnose durchgeführte
Therapie bringt in den meisten Fällen eine schnelle Besserung und an den
Wettflügen kann in der Regel weiter teilgenommen werden, selbst wenn die
stark betroffenen Tauben einige Zeit pausieren müssen.
Um schnelle Hilfe zu leisten, verabreichen wir zunächst das
Antibiotikum “Amoxicillin”, das in der Regel gute Wirkung zeigt. Stets
setzen wir “Ridzol” zu, um die Gefahr einer Trichomonadeninfektion
auszuschließen. Hinzu fügen wir das abwehrsteigernde Mittel “Alvimun-T”,
das gleichzeitig hilft, die Arzneimittelnebenwirkungen besser zu
verarbeiten. Über das Futter verabreichen wir “Adenosan”, das für die
Behandlung der Jungtaubenkrankheit konzipiert wurde. Das Futter feuchten
wir zuvor mit “Petogen Turbocon” an und stellen so die Vitaminversorgung
sicher.
Die bakteriologische Untersuchung muss zeigen, ob die Wahl des
Medikamentes richtig war oder ob ggf. das Präparat gewechselt werden
muss. Zeigt die Behandlung Erfolg, muss sie in jedem Fall – falls weiter
mit den Tauben gespielt wird, die in einer entsprechenden Verfassung
sind –, in der nachfolgenden Woche wiederholt werden. Grundsätzlich
raten wir den betroffenen Züchtern, die Gabe von “Adenosan” über die
gesamte Saison am Wochenanfang über zwei Tage beizubehalten. Ebenso
sollte mit “Alvimun-T” verfahren werden.
René Becker, prakt. Tierarzt
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