Die Magnetorientierung von
Brieftauben
Die Fähigkeit von Brieftauben auch aus
unbekannten Gebieten den Heimatschlag zu finden hat schon immer die
Menschen fasziniert. Aus den enormen Heimfindevermögen dieser
Tiere hat sich der Brieftaubensport entwickelt, bei dem jede Woche
Tausende von Tauben aufgelassen werden um die schnellsten Tiere zu
ermitteln.
Auch in der Forschung sind Brieftauben aufgrund ihrer
Fähigkeiten als Versuchstiere nicht mehr wegzudenken. Besonders
in der psychologischen Forschung, in der es um die Lern - und
Kognitionsfähigkeiten von Tieren geht, werden oft Brieftauben als
Versuchstiere herangezogen. In manchen Verhaltenstests bei denen es
z.B. um das schnelle Erkennen von Gegenständen geht, zeigen
Brieftauben besserer Ergebnisse als Menschen.
Jedoch ist bislang noch nicht genau geklärt,
wie es die Tiere schaffen aus einem unbekannten Gebiet wieder den
Heimschlag zu erreichen.
Das Heimfindeverhalten von Tieren hat sich aus der
Notwendigkeit entwickelt, nach der Nahrungssuche wieder auf dem
schnellsten Weg das angestammte Nest oder den Bau zu erreichen. Wenn
ein Tier sich in einem Zickzackkurs von seinem Heimrevier entfernt, so
wäre es ein zu großer Energieaufwand, diesen Zickzackkurs
auf dem Rückweg beizubehalten. D.h. der Energieaufwand ist
geringer wenn ein Tier nach der Nahrungssuche auf dem direkten Weg das
Heimrevier aufsucht. Dies setzt ein großes Maß an
Orientierungsfähigkeit voraus und es ist bis heute noch nicht
endgültig geklärt, welche Parameter die Tiere dabei
verwenden.
Schon in den 70iger Jahren machten amerikanische
Wissenschaftler Verhaltenstests mit Brieftauben. Dabei wurden die
Tiere an einen Auflassort transportiert von dem die Richtung und die
Entfernung zum Heimschlag bekannt war. Dann wurden die Tauben, anders
als bei Taubenrennen, einzeln aufgelassen und die Richtung
protokolliert, in der die Tiere verschwanden. Die Daten der
Verschwinderichtung, der Verschwindezeit und der Ankunftszeit am
Heimschlag wurde ermittelt und daraus ein Mass für die
Orientierungsfähigkeit beschrieben. Durch verschiedene gezielte
Manipulationen der Tauben wollte man feststellen, inwieweit die
Orientierungsfähigkeit der Tiere dadurch beeinflusst werden
konnte. Durch diese Untersuchungen konnten im Laufe der Jahre
verschieden Faktoren beschrieben werden, die wahrscheinlich von Tauben
zur Orientierung genutzt werden. So wurden Geruch, Infraschall und das
Erdmagnetfeld als Orientierungsfaktoren diskutiert. Neben dem
Sonnenstand, den Brieftauben zweifelsfrei als Kompaßsystem
nutzen, wurden für die anderen sogenannten Kartenfaktoren immer
wieder unterschiedliche Theorien aufgestellt. Besonders das
Erdmagnetfeld als Orientierungsfaktor wurde von der Wissenschaft sehr
kontrovers diskutiert, da bislang noch kein Rezeptorsystem beschrieben
werden konnte, dass den Tieren die Wahrnehmung von magnetischen
Parametern ermöglichen könnte.
Der Nachweis eines möglichen Magnetrezeptors
bei Brieftauben
Unsere Untersuchungen, die gemeinsam mit Geophysikern
von der Universität München durchgeführt wurden, beschäftigen
sich zunächst mit dem möglichen Aufbau eines Rezeptorsystems
bei Brieftauben, die den Tieren das "Messen" des
Erdmagnetfeldes ermöglichen.
Basis unserer Überlegungen war, daß in
vielen verschiedenen Organismen Magnetit nachgewiesen werden konnte,
das auf Magnetfelder in Erdfeldstärke reagiert und damit die
Grundlage für einen Magnetrezeptor auch bei Brieftauben bilden könnte.
Aus diesem Grunde war es notwendig festzustellen ob
und wo Magnetit im Gewebe von Brieftauben vorhanden ist und ob es mit
Nerven in Verbindung steht. Einen ersten Hinweis auf die Lokalisation
des Materials im Gewebe erbrachten elektrophysiologische
Untersuchungen an einem bestimmten Gehirnnerven der Vögel. Bei
diesen Untersuchungen wird das elektrische Verhalten von Nervenfasern
mit Hilfe von Elektroden untersucht. Am Nervus ophthalmicus von Vögeln
wurden elektrophysiologische Ableitungen durchgeführt und es
zeigte sich, dass die an einzelnen Nervenfasern abgeleiteten
elektrische Potentiale sich unter dem Einfluss von einem äußeren
Magnetfeld veränderten. Daraus wurde geschlossen, dass dieser
Nerv die Information über magnetische Parameter an das Gehirn
weiterleitet und damit direkt mit einem möglichen Magnetrezeptor
in Verbindung stehen muss.

Abbildung 1: Verlauf des Nervus ophthalmicus
im Oberschnabel von Tauben.
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Der Nervus ophthalmicus versorgt in erster Linie die
Oberschnabelhaut der Vögel mit den sich darin befindenden
Mechanorezeptoren (wie z.B. Tastkörperchen). Dieser Hinweis
veranlaßte uns mit Hilfe von sehr empfindlichen
Magnetfeldmessgeräten (SQUID's) das Oberschnabelgewebe von
Brieftauben zu untersuchen. Die Messungen zeigten, dass sich
wahrscheinlich sehr geringe Mengen Magnetit im Oberschnabelgewebe
befinden. Aus dem Umstand alleine, dass das Material vorhanden ist,
kann aber nicht geschlossen werden, dass es etwas mit einem
Magentrezeptor zu tun hat. In einem nächsten Schritt mußte
geklärt werden wie das Magnetit im Gewebe vorliegt und ob es mit
Nervenfasern in Verbindung steht. Dazu wurden histologische
Untersuchungen durchgeführt.
Das zu untersuchende Gewebe wird in Formol o.ä.
fixiert, in Plastik oder Paraplast eingebettet und mit einem Mikrotom
in sehr dünne Scheiben (10 µm) geschnitten. Danach werden
die Gewebeschnitte mit speziellen Färbelösungen behandelt,
je nachdem welche Untersuchung durchgeführt werden soll. Unter
dem Lichtmikroskop werden die Ergebnisse der histologischen
Untersuchungen dann ausgewertet.
Leider gibt es keinen direkte histologische
Nachweismethode für Magnetit. Da es sich bei Magnetit aber um
dreiwertiges Eisen handelt, kann über den Nachweis von Fe2+3
(Berlin-Blau-Reaktion) zumindest annäherungsweise festgestellt
werden, ob sich Magnetit im Gewebe befindet.
Deshalb wurde zunächst das
Oberschnabelhautgewebe von Brieftauben histologisch auf das
Vorhandensein von dreiwertigem Eisen untersucht.

Abbildung 2: Histologischer Schnitt mit
Eisenanreicherungen (Berlin-Blau Reaktion)
in bestimmten Schichten (Stratum laxum) der
Oberschnabelhaut. Bei den Eisenanreicherungen
handelt es sich um Cluster mit sehr kleinen
Magnetitkristallen, die in Nervenendigungen
eingelagert sind (Vergrößerung 100 x).
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Nachdem wir in ganz bestimmten Schichten der
Oberschnabelhaut geringe Mengen von dreiwertigem Eisen nachweisen
konnten, wurden die Schnitte für weitere elekrtonenmikroskopische
Analysen aufgearbeitet. Mit Hilfe der Feinbereichsbeugung, die am
Elektronenmikroskop durchgeführt wird, konnten wir die zuvor
festgestellten Eisenanreicherungen als Magnetit charakterisieren.
Dabei sind die sehr kleinen Magnetitkristalle (nicht
größer als 5 nm) zu Clustern von 1 bis 2 nm
zusammengeschlossen. Mehrerer solcher Cluster sind kettenförmig
in einer Zelle angeordnet. Diese Zellen wiederum wurden mit
immunhistologischen Verfahren als Nervengewebe charakterisiert.
Damit war der morphologische Nachweis für einen
Magnetrezeptor bei Brieftauben erbracht: Magnetit befindet sich in
Nervenzellen in bestimmten Schichten der Oberschnabelhaut von
Brieftauben.
Nun bleibt nur noch festzustellen, wie diese
Strukturen im Oberschnabelhautgewebe dem Tier die Aufnahme von
magnetischen Reizen ermöglicht. Dazu wurden physikalische Modelle
entwickelt um zu analysieren, wie die Magnetitcluster sich unter dem
Einfluß eines Magnetfeldes verändern.
Theoretischen Berechnungen sowie Modellversuche
konnten zeigen, dass ein Magnetitcluster seine Form in Abhängigkeit
vom umgebenden Magnetfeld verändert. Dabei deformiert sich der
einzelne Magnetitcluster entsprechend der Stärke und der Achse
des Magnetfeldes. Diese Deformation kann an der, den Cluster
umgebenden Membran, eine Potentialveränderung induzieren, die
dann am fortführenden Nerven eine Erregung auslöst und so
die Information zum Gehirn weiterleitet.
Da in einer Zelle immer mehrere Cluster vorhanden
sind, wird die durch ein Magnetfeld ausgelöste Membrandeformation
verstärkt.
Mit solch einem Rezptorsystem ist es Brieftauben möglich,
kleinste Veränderungen des umgebenden Magnetfeldes zu "messen".
Das Magnetfeld der Erde
Wie können magnetische Faktoren von Tauben zur
Orientierung genutzt werden? Dazu muss man zunächst die
physikalischen Eigenschaften des Erdmagnetfeldes beschreiben.
Nach der Dynamo-Theorie erzeugen Konvektionsströme
des flüssigen Erdkerns das primäre Magnetfeld, das durch die
Erdrotation (Coriolis-Kraft) in der Rotationsachse ausgerichtet wird.
Dadurch ensteht ein weitgehend statisches Dipolfeld, dessen Pole sich
in der Nähe der beiden geographischen Pole befinden. Als
geographischer Nordpol wird allgemein der in der Arktis gelegene Pol
bezeichnet, da die nordwärts gerichtete Spitze einer Kompaßnadel
in dessen Richtung zeigt. Aus physikalischer Sicht ist jedoch der am
geographischen Nordpol gelegene Magnetpol der magnetische Südpol.
Umgekehrt befindet sich der magnetische Nordpol in der Antarktis, nahe
dem geographischen Südpol. Die magnetischen Feldlinien treten am
magnetischen Nordpol aufwärts gerichtet aus der Erdoberfläche
und treten am magnetischen Südpol, in der Nähe des
geographischen Nordpols wieder ein. Auf der südlichen Hemisphäre
verlaufen die magnetischen Feldlinien aufwärts, auf der
Nordhalbkugel abwärts gerichtet. Am magnetischen Äquator
verlaufen sie parallel zur Erdoberfläche.
Die Neigung der magnetischen Feldlinien bezogen auf
die Horizontalebene wird als Inklination beschrieben. Die Inklination
beträgt am Nordpol +90°, am Äquator 0° und am Südpol
-90°. Die Stärke des Erdmagnetfeldes ergibt sich aus dem
vektoriellen Betrag der Feldlinien der Totalintensität.

Abbildung 3: Das Magnetfeld der Erde und
der Verlauf der Feldlinien. Am magnetischen
Nordpol (am geographischen Südpol) treten die
Feldlinien aus dem Erdinneren heraus und am
magnetischen Südpol (am geographischen
Nordpol) treten sie wieder ins Erdinnere hinein.
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Die Stärke des magnetischen Feldes (H) wird
allgemein in Tesla (nT) angegeben. Am Pol erreicht die Totalintensität
ihren Maximalwert von 70 000 nT und wird nur von der Vertikalintensität
bestimmt (Horizontalintensität = 0 nT), da die Feldlinien in
einem 90° Winkel in die Erdoberfläche eintreten. Im
Gegensatz dazu erreicht am Äquator die Horizontalintensität
ihren höchsten Wert von ca. 26 000 nT, da die Feldlinien parallel
zur Erdoberfläche verlaufen und keinerlei Vertikalkomponente
besitzen.
Die einzelnen Magnetfeldparameter verlaufen nicht in
einer absoluten Nord-Süd-Ausrichtung. Aufgrund der im Erdinneren
sich bewegenden flüssigen Konvektionsströme verlaufen die
Isodynamen (Linien gleicher Totalintensität) in Mitteleuropa von
Nordwest nach Südost.
Zusätzlich wird durch teilweise in die Erdkruste
eingelagerte magnetische Materialien die ursprüngliche Gleichmäßigkeit
des Dipolfeldes mehr oder weniger stark durch magnetische Anomalien
moduliert.

Abbildung 4: Karte der magnetischen Anomalien
um Frankfurt. Ausgehend vom Referenzfeld zeigen
die roten Linien die geringeren und die blauen
Linien die höheren Abweichungen in nT. Deutlich
sind die starken magnetischen Anomalien im
Nord-Osten von Frankfurt zu erkennen. Hierbei
handelt es sich um den Vogelsberg, ein
vulkanisch entstandenes Mittelgebirge.
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Obwohl das Erdmagnetfeld ein statisches Dipolfeld
ist, unterliegt es immerhin so großen Schwankungen, daß es
in Abständen von mehreren 105 bis 106
Jahren sogar zu Polaritätsumpolungen kommt. Diese Änderungen
erfolgen wahrscheinlich so langsam, dass sie in der Lebensspanne von
einzelnen Organismen keine Rolle spielen.
Im Gegensatz zu diesen, über lange Zeiträume
ablaufenden Prozessen, treten periodische tages- und jahreszeitliche
Magnetfeldschwankungen auf, die hauptsächlich durch die Sonne
verursacht werden.
Durch die von der Sonne ausgesandte
elektromagnetische Wellen- und Korpuskularstrahlung wird die Ionosphäre
der Erde regelmäßig beeinflusst. Die elektrisch geladenen
Teilchen der Ionosphäre werden durch die Sonnenwinde bewegt und
induzieren ein Magnetfeld. Auf der Nachtseite der Erde wird unter dem
Einfluß des Sonnenwindes die Ionosphäre stark
auseinandergezogen, während sie auf der Tagseite stark
komprimiert wird.
Daraus resultiert ein regelmässiger Tagesgang
des Erdmagnetfeldes, bei dem in unseren Breiten die Totalintensität
während des höchsten Sonnenstandes am Mittag ein Minimum
erreicht. Da der Tagesgang von der Sonne beeinflusst wird, besitzt er
je nach geographischer Breite und dem relativen Stand der Erde zur
Sonne einen unterschiedlichen Verlauf in Abhängigkeit von den
Jahreszeiten. In den Sommermonaten, wenn die Sonneneinstrahlung am Stärksten
ist, sind die tageszeitlichen Schwankungen bis zu viermal höher
als in den Wintermonaten.
Zusätzlich verändert sich in einem 11jährigen
Zyklus die Sonnenaktivität. Die äußerlich sichtbaren
Erscheinungen dieser Aktivität sind die Sonnenflecken. Durch die
Oszillation des solaren Magnetfeldes kommt es zu der periodischen
Variation der Sonnenfleckenzahlen. Während der maximalen
Sonnenaktivität mit einer hohen Anzahl an Sonnenflecken kommt es
zu einem vermehrten Ausstoß an Wellen- und Korpuskularstrahlung,
der die Ionosphäre der Erde und damit das Erdmagnetfeld beeinflußt.
Magnetische Stürme in Zeiten erhöhter Sonnenaktivität
beeinflussen die regelmäßigen tages- und jahreszeitlichen
Magnetfeldschwankungen.

Abbildung 5: 11 jähriger Zyklus der
Sonnenfleckenrelativzahlen von
1975 bis 1993. In den Jahren 1979 und 1990 ist deutlich das
Maximum
der Sonnenaktivität zu erkennen, während 1984 und 1995
die Sonne
eine geringe Aktivität festzustellen ist.
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Die Rolle der Intensität des Erdmagnetfeldes
bei der Orientierung von Brieftauben
Die Intensität des Magnetfeldes unterliegt also
räumlichen (hervorgerufen durch Gesteinseinlagerungen) und
zeitlichen Schwankungen (hervorgerufen durch die Sonnenaktivität),
die das Orientierungsverhalten der Brieftauben beeinflussen kann.
Die Verfrachtungsrichtung
Durch die graduelle Abnahme der Totalintensität
des Erdmagnetfeldes von Nord-Ost nach Süd-West in Mitteleuropa, lässt
sich theoretisch ein, von der jeweiligen Verfrachtungsrichtung abhängiges
Orientierungsverhalten der Tiere voraussagen.
Wenn Tauben in der Lage sind, kleinste Veränderungen
der Intensität des Erdmagnetfeldes zu registrieren und diese zur
Orientierung nutzen, dann spielt die Verteilung der Isodynamen (Linien
gleicher Totalintensität) am Auflassort eine wesentliche Rolle
bei der Anfangsorientierung. Voraussetzung dafür ist, dass die
magnetischen Intensitätswerte am Heimschlag als Referenzwert
dienen. Ein postuliertes Rezeptorsystem muss am Heimschlag, also dort,
wo die Tiere aufwachsen, eingeeicht werden. Durch Trainingsflüge
lernen die Tiere, wie sich die Totalintensität in Bezug auf die
Verfrachtungsrichtung verändert.
Ausgehend von den Intensitätswerten am
Heimschlag steigen bei einer Verfrachtung nach Norden die Werte der
Totalintensität an, während bei einer Verfrachtung in südliche
Richtung die Werte abnehmen. Bei Verfrachtungen auf der Ost-West-Achse
sind die Veränderungen der Totalintensität weniger stark
ausgeprägt und unterscheiden sich kaum von denen am Heimschlag.
Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die
Orientierung für die Tiere bei Verfrachtungen auf der Nord-Süd-Achse
einfacher ist. Um ihren Heimschlag zu erreichen, müssen die
Tauben nach südlicher Verfrachtung der ansteigenden Intensität
und nach nördlicher Verfrachtung der abfallenden Intensität
des Erdmagnetfeldes folgen.
In den Verhaltensuntersuchungen, die ich im Rahmen
meiner Doktorarbeit durchgeführt habe, konnte diese These bestätigt
werden. Es war festzustellen, dass Tauben an Orten auf der Ost-West
Achse vom Heimschlag aufgelassen, mehr Schwierigkeiten hatten sich zu
orientieren, als an vergleichbaren Orten auf der Nord-Süd Achse.
Im Hinblick auf die Auswahl der Verfrachtungsrichtung
bei Taubenrennen könnte man analysieren inwieweit diese einen
Einfluss auf die Heimkehrgeschwindigkeit der Tiere hat. Dazu müßten
herausgefunden werden ob sich die durchschnittliche
Heimkehrgeschwindigkeit bei Rennen auf der Ost-West Achse von denen
auf der Nord-Süd Achse unterscheidet.
Die magnetischen Bedingungen am Auflassort
Unter natürlichen Bedingungen verlaufen die
Isodynamen nicht gleichmäßig, sondern werden durch
geologisch bedingte Gesteinseinlagerungen - magnetische Anomalien -
verzerrt.
Diese räumlichen Verzerrungen der Intensität
des Erdmagnetfeldes, hervorgerufen durch magnetische Anomalien, führen
bei Brieftauben zu Schwierigkeiten innerhalb der Anfangsorientierung.
In wissenschaftlichen Untersuchungen, in denen die Tauben am
Auflassort alleine aufgelassen werden, kommt es zu gewissen
Orientierungsschwierigkeiten in der Anfangsphase. Die Tiere fliegen
teilweise in eine falsche Richtung ab und die Verschwindezeit nimmt
zu. Dies passiert besonders an Auflaßorten an denen der
magnetische Anomaliegradient gegensätzliche Information zum
normalen magnetischen Gradienten liefert. Inwieweit dieses Phänomen
bei Taubenrennen ein Rolle spielt, kann nicht mit absoluter Sicherheit
geklärt werden, da hier immer sehr viele Tauben gleichzeitig
aufgelassen werden. Möglich jedoch ist, daß an einem Ort
mit einem extrem verzerrten Anomaliegradienten der Taubenschwarm länger
verweilt, bis er aus dem Sichtfeld der Beobachter verschwindet.
Die normalen tageszeitlichen Variationen des
Erdmagnetfeldes
Die durch die Sonneneinstrahlung hervorgerufenen
normalen zeitlichen Variationen des Erdmagnetfeldes haben
wahrscheinlich keinen Einfluss auf die Orientierung von Brieftauben während
eines Rennens. Diese Magnetfeldschwankungen sind so gering (bis zu 50
nT in ungefähr 3 Std.), dass sie während des Fluges der
Tiere keine Rolle spielen.
In wissenschaftlichen Studien mit Brieftauben konnte
jedoch gezeigt werden, dass diese Variationen die Orientierung der
Tiere beeinflusst. Dazu wurde die gleiche Taubengruppe einmal morgens
(zwischen 7-10 Uhr) und einmal mittags (zwischen 12-15 Uhr) vom selben
Ort aufgelassen. Es zeigte sich, dass sich die Abflugrichtung der
Tauben zwischen Morgen- und Mittagauflassung veränderte, obwohl
die Tiere den Auflassort kannten. Diese Versuche wurden über
einen Zeitraum von mehreren Monaten immer am gleichen Ort durchgeführt
und es trat immer wieder eine Tagesvariation der Orientierung zwischen
Morgens- und Mittagsauflassung auf.
Das unterschiedliche Abflugverhalten zwischen Morgens
und Mittags wiederum ist abhängig von der Verfrachtungsrichtung.
Aufgrund der Abnahme der Totalintensität in den Mittagsstunden fühlen
sich die Tiere (magnetisch) an einen südlicheren Ort verfrachtet
und versuchen dies durch eine weiter nördlichere Abflugrichtung
zu korrigieren. Für einen westlich vom Heimschlag gelegenen Auflaßort
bedeutet dies, dass die Tiere in den Mittagsstunden eine Abweichung im
Gegenuhrzeigersinn von der morgendlichen Abflugrichtung zeigen.
Umgekehrt wird an einem östlich vom Heimschlag gelegenen
Auflassort eine Abweichung im Uhrzeigersinn beobachtet. Bei westlicher
und bei östlicher Verfrachtung sind die Unterschiede zwischen den
morgendlichen und der mittäglichen Abflugrichtungen aufgrund des
Isodynamenverlaufs größer, als bei Verfrachtungen nach
Norden oder nach Süden.
Dies zeigt deutlich, daß Tauben schon geringste
Magnetfeldveränderungen messen können und ihre Orientierung
davon beeinflußt wird. Dabei sind die Ergebnisse dieser Studie
besonders erstaunlich, da die Tiere teilweise über 50 mal vom
gleichen Ort aufgelassen werden, der Ort den Tieren also bekannt sein
müsste. Trotzdem kommt es zu den beschriebenen Abweichung
zwischen den Morgens- und Mittagsauflassungen, was zeigt wie wichtig
magnetische Intensitätsparameter für den
Orientierungsvorgang sind.
Störungen des Erdmagnetfeldes
Besonders in Jahren starker Sonnenaktivität
kommt es häufig zu irregulären Störungen des
Magnetfeldes. Dabei kann es zu Schwankungen der Intensität von
mehr als 1000 nT pro 5 Minuten kommen. Auswertungen von Taubenrennen
die an magnetisch gestörten Tagen durchgeführt wurden,
zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Stärke der Störung
und der Heimkehrgeschwindigkeit der Tiere. Je stärker die
magnetische Störung desto langsamer war die
Heimkehrgeschwindigkeit.
Die zeitlich auftretenden irregulären Störungen
des Erdmagnetfeldes führen offenbar dazu, dass der graduelle
Verlauf der Intensität über die Entfernung von den Tauben
nicht mehr genau gemessen werden kann, was zu der beschriebenen
Desorientierung der Tiere führt. Die von den Tieren gemessenen
Intensitätswerte ändern sich zeitlich sehr schnell, so dass
sie immer wieder versuchen ihren Kurs zu korrigieren. Es scheint den
Tieren nicht möglich, diese starken zeitlichen Magnetfeldänderungen
zu kompensieren.
Auch von Gewitterfronten wird die Intensität des
Erdmagnetfeldes durch elektrische Entladungen erheblich gestört.
Diese magnetischen Turbulenzen treten jedoch nur in unmittelbarer Nähe
der Wetterfront auf.

Abbildung 7: Vergleich der Anfangsorientierung von Brieftauben am
selben Auflassort an einem magnetisch "normalen" Tag
(oben) und an
einem magnetisch "gestörten" Tag (unten). Die
beiden linken Graphen
zeigen den zeitlichen Verlauf der magnetischen Intensität und
die
dazugehörigen Kreisdiagramme verdeutlichen das
Orientierungsverhalten einzelner Brieftauben. Die Pfeile zeigen
die
Verschwinderichtung einzelner Tauben und die gestrichelte Linie
die Heimrichtung an.

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Aufgrund der erhöhten Sonnenaktivität ist
in den Jahren 2000 und 2001 wieder mit erheblichen magnetischen Störungen
zu rechnen, die Auswirkungen auf den Verlauf von Taubenrennen haben könnten.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Brieftauben
ein Rezeptorsystem besitzen welches ihnen ermöglicht, die
Intensität des Erdmagnetfeldes zu messen. Diese Information
nutzen die Tiere zur Orientierung. Voraussetzung dafür ist, dass
die Tiere in ihrer Jungendphase gelernt haben wie sich, ausgehen vom
Heimschlag, die Intensität des Magnetfeldes in Abhängigkeit
von der geographischen Richtung verändert. Nach der
Trainingsphase sind die Tiere in der Lage, durch Extrapolieren der
erlernten Werte, auch aus unbekannten Gebieten wieder den Heimschlag
zu erreichen.
Inwieweit andere Faktoren bei der Orientierung von
Brieftauben eine Rolle spielen, kann bislang nicht endgültig geklärt
werden. Jedoch wird aufgrund der uns vorliegenden Ergebnisse deutlich,
dass die Intensität des Erdmagnetfeldes wahrscheinlich der
wichtigste Kartenfaktor beim Heimfindeverhalten ist.
Bei zukünftigen wissenschaftlichen
Untersuchungen müssen die räumlichen und zeitlichen
Variationen der Magnetfeldintensität, sowie die Funktionsweise
der gefunden Rezeptorstruktur berücksichtigt werden um zumindest
teilweise verstehen zu können, wie Brieftauben zu solchen
Orientierungsleistungen fähig sind.
Ob man damit allerdings alle Geheimnisse des
Heimfindeverhaltens dieser erstaunlichen Tiere entschlüsseln
kann, bleibt offen.
Dr. Elke Holtkamp-Rötzler
Zoologisches Institut
Goehte-Universität Frankfurt/Main
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Weitere Informationen zum
Erdmagnetfeld und Weltraumwetter
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